Wie können wir unseren alten Eltern begegnen?

 

Das Alter und Altern ist nicht nur gewöhnungsbedürftig für Eltern, sondern auch für deren Kinder.

 

„Wir wollen zusammen alt werden“

 

„Im Alter wollen wir zusammen zufrieden und glücklich auf einer Bank sitzen, das Leben und

unsere Kinder und Enkelkinder genießen“

 

Dies wünschen sich die meisten Paare, dies haben sich Mann und Frau bei ihrer Hochzeit

versprochen. Wünschen wir uns nicht alle dieses romantische Bild vom Altsein?

Die Realität sieht allerdings oft anders aus. Anders für das alternde Paar und auch anders für deren Kinder. Denn diese sind in der Regel ebenfalls sehr stark vom Alterungsprozeß ihrer Eltern

mit betroffen.

 

„Alt werden ist nichts für Feiglinge“ ein Zitat von Joachim Fuchsberger

 

Wie recht er hat. Es ist sicherlich nicht einfach zu erleben, wenn die gewohnten Möglichkeiten und Befähigungen nachlassen, der Mobilitätsradius immer kleiner wird, Krankheiten und körperlich wie

geistige Einschränkungen zunehmen und die gewohnte Autonomie des eigenen Lebens immer mehr der Hilfe und Unterstützung von Aussen und von Anderen weichen muss.

Wir werden heutzutage, dank modernster Medizin, immer älter und damit verlängert sich die Spanne des „Lebensabends“ ebenfalls. Wir sind heute noch viel länger „fitte Alte“, das ist schön,

aber Krankheiten wie Demenz, Parkinson, Alzheimer, Krebs etc. bestimmen doch immer mehr das lange Altern bis hin zum Siechtum.

Dies stellt die nächste Generation, uns Kinder, vor neue Herausforderungen. Auch für Kinder ist das Altern der eigenen Eltern meist nicht ganz einfach. Auch für sie ist es ein Gewöhnungs- und

Umdenkprozeß, nicht nur für deren Eltern.

In der Regel prallen zu einem bestimmten Lebensalter , in dem ich mich auch gerade befinde (+ -

50), verschiedenste sehr grosse Lebens-Themen aufeinander . Die eigenen Kinder verlassen das Haus und gehen in ihr eigenes Leben. Wir müssen Abschied

nehmen und loslassen lernen. Zeitgleich stecken wir Frau in den Wechseljahren. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes ein „Wechsel“ , eine Zeit des Wandels. Viele aufkommende Fragen gilt es zu klären: Wie orientierte ich mich neu oder gegebenenfalls auch beruflich nochmals um? Wie definiere ich mein eigenes Selbst und Selbstverständnis, wenn ich nicht mehr aktive Mutter bin wie die letzten 20 Jahre?

Wir müssen gewohnte Rollen ablegen, meist ist es auch ein Zäsurziehen in der eigenen Partnerschaft. Es ist eine Zeit des Annehmen des Neuen und Unbekannten. Dies kann

verunsichern, macht auch teilweise Angst. Wir erkennen uns selbst nicht mehr - auch wenn die Möglichkeit auf mehr Freiheit neugierig macht.

Auch spüren wir selbst immer deutlicher die eigenen Endlichkeit und sind in dieser Zeit sehr mit uns und unserem Wandel im Innen wie Außen beschäftigt . Eigentlich sind wir in diesem

Lebensalter selbst sehr schutzbedürftig.

Und genau in dieser Lebensphase bekommt nun der Umgang mit den eigenen Eltern eine ganz neue eigene Dynamik. Unsere Eltern sind in der Regel +- 80 und werden immer hilfsbedürftiger

und teilweise auch pflegebedürftig.

Genau in dieser Zeit, in der wir Frauen eigentlich sehr mit uns selbst beschäftigt sind und viel Freiraum für uns selbst brauchen und bräuchten, werden wir immer mehr zu den

Schutzbefohlenen unserer Eltern. Wir werden deren „Eltern“ , wir brauchen sehr viel Zeit für sie, müssen uns um sie kümmern . Die Eltern werden immer mehr zu „Kindern“ , weil sie auf Hilfe und

Unterstützung angewiesen sind. Dieser Prozess und diese Rollenumkehr geht an beiden Parteien nicht spurlos vorüber und birgt

einiges Konfliktpotential:

 

-für die Eltern :

 

Nicht genug, dass sie mit ihrem Alterungsprozess schon genug Abschieds- und Trauerarbeit zu bewältigen haben , schiessen wir Kinder, bei aller gut gemeinten Fürsorge und Liebe den Eltern

gegenüber, doch immer wieder gerne über das Ziel hinaus. Wir wollen Dinge geregelt wissen, wofür unsere Eltern einfach noch nicht bereit sind (z.B. Umzug ins Altersheim uä) . Wir weisen sie

auf das Schwinden ihrer Befähigungen hin („Papa, du kannst und darfst jetzt wahrlich kein Auto mehr fahren , du gefährdest dich und andere“ „Mama, wollt ihr nicht eine Haushaltshilfe haben?“

Ungeschönt übersetzt heisst das : „Papa, wie du inzwischen Auto fährst ist wirklich gemeingefährlich , mit deinen schlechten Augen und Ohren“ „Mama, du schaffst deinen Haushalt

einfach nicht mehr . Schau wie es bei euch zu Hause aussieht“

Unsere Eltern fühlen sich von uns oft angegriffen , invasiv überrannt und in ihrer Autonomie beschnitten.

Wir Kinder meinen es nicht böse, wir haben Sorge und möchte Vorsorge treffen. Aber wir gehen doch meist von unserer Warte der Wahrnehmung aus und vergessen, dass wir einfach nicht

wissen und erahnen können, wie es sich anfühlt , 70 , 80 und älter zu sein.

 

-für deren Kinder:

 

Es ist für Kinder ebenfalls nicht leicht zu realisieren und auch zu akzeptieren,

dass die bisherigen Bilder, die man von Mama und Papa hatte ( zB der starke, mächtige oder

zupackende Vater oder die für- und umsorgende Mutter …),sich ändern und teilweise auch ganz

verabschiedet werden müssen. Papa ist nicht mehr der Fels in der Brandung , das muss vielleicht

das Kind nun für ihn übernehmen.

Oder wenn ein Elternteil sehr retardiert und ins Kindliche abrutscht. Wenn sich Demenz zeigt, dann müssen auf einmal wir Kinder die Nachsichtigen sein, Geschichten und Ereignisse zum x-ten Mal gleich erzählt zu bekommen. Oder wenn die Eltern nur noch von sich erzählen wollen und gar nicht so sehr am Anderen interessiert sind.

All das haben wir als Kinder zwar auch getan: wir haben Geschichten und Ereignisse zigmal unseren Eltern erzählt, uns niemals für sie und ihr Befinden interessiert, sondern nur fürs eigene.

Das ist völlig normal als Kind. Vielleicht ist es auch völlig normal für einen alten Menschen?

Es ist also ebenfalls von Seiten der Kinder eine Abschieds- und Trauerarbeit zu leisten, was meist nicht ohne einige Reibungsverluste von statten geht.

Kinder und Eltern sollten also immer wieder „gnädig“ mit einander sein und sich bezüglich der gegenseitiges „Verfehlungen“ verzeihend verhalten.

Wir Kinder sollten einfach nicht vergessen, dass es unseren Eltern ganz viel um die Würde geht, die nicht verloren gehen darf. Es ist ein schmaler schwieriger feiner Grad zwischen notwendiger

Unterstützung und Hilfe und Einmischung und damit Degradierung. Ich weiss das zu genau.

Aber auch ich wünsche mir wünschen mir ganz sicher eines Tages auch von meinen Kindern die Bereitschaft zu dieser aufmerksamen Gratwanderung.

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