Gespräch mit der Enkelin

 

Ach Liebchen, was soll ich dir berichten? Es ist doch schon so lange her, ich bin eine alte Frau.

Ob ich mich erinnern kann oder erinnern will , fragst du?

Wie kann man den Krieg jemals vergessen? Ich würd gerne manches mal die Erinnerungen vergessen oder vergessen können.

Erinnerungen tragen einem durchs Alter, so sagt man doch, nich ? Die schönen schon, das stimmt schon, nu, die nicht schönen tragen nicht , sie bleiben schlimm und furchtbar . Man lernt

ja nur damit zu leben.

Da muss ich doch meinen lieben Wilhelm Busch zitieren : „Kein Übel ist so gross, dass es nicht von einem neuen übertroffen werden könnte“.

Dazu hatte ich ja lange Zeit, bald werden es 100 Jahre. Daran erinnerst du mich momentan immer.

Du willst ja eine Omi haben, die 100 ist , nicht wahr ?

Natürlich denke ich ans Sterben, aber ich will nun auch noch so einiges mitbekommen, wie wohl mein Urenkelchen, dein lieber guter Sohn, heiratet und wie du dein neues Geschäft eröffnen wirst.

Auch wenn ich so gar nichts davon verstehe, wissen will ich es schon. Und du wirst mir das sicher erklären können, so wie mit den „Emeiles“ , die ja e-mails heissen !

Die Neugier bleibt, neugierig war ich schon immer. Du sagt, mein Liebchen, dass ich so weise bin. Das ist nicht wahr , ich hab nur immer gefragt und mich auch einfach für vieles interessiert.

Lernen und studieren konnte ich ja nicht. „Dummheit ist auch eine natürliche Begabung“ ( Wilhelm Busch ). Ja, nu, man muss auch über sich selbst lachen können. Schau nicht so erschreckt.

Ansonsten ist das „gesegnete Alter“ so ne Sache .

Das schlimmste ist, dass niemand mehr da ist, ich bin alleine. Alle Freunde, mein lieber Mann, mein kleiner Junge, Nachbarn, alle sind sie schon weg, gestorben…Man wird einsam. Manchmal

denke ich, der liebe Gott hat mich vergessen hier und holt mich einfach nicht. Sehen tue ich ja fast nicht mehr, das Hören ist auch schwer, das weisst du, die Beine wollen einfach nicht mehr . Ich frage mich immer wieder, wie ich das früher alles so geschafft habe. Jetzt brauche ich den ganzen Vormittag, nur um mich zu richten. Nu, aber ich hab ja jetzt och die Zeit

dazu. Früher hatte ich sie nicht.

Und dann staune ich , dass heute überall man von Stress spricht. „Es ist so stressig, ich bin im Stress etc…“ . Dani heute früh von der Sozialstation sagt das auch immer. Sie hat nie Zeit mal

einfach 10 Minuten sich zu mir zu setzen und ein bisschen zu plaudern. Ich hab ja nischts und wenn ich was habe , sag ichs nicht. Sonst stecken die mich womöglich ins Krankenhaus. Und da

kommt man ja bekanntlich in meinem Alter nicht mehr raus.

Das Wort Stress kannten wir früher gar nicht . Das höre und lese ich erst in letzter Zeit von euch Jungen, dabei habt ihr doch ne Waschmaschine, die die Wäsche wäscht, ne Spülmaschine, die

das Geschirr abwäscht, ihr habt Autos, ihr könnt über all hin, ihr habt Mikrowellen, die selbst kochen oder Essen von Tiefkühler und weiss ich nicht noch was für Maschinen .

Wir haben alles von Hand gemacht und ich musste auch jeden Tag zur Arbeit und sonst zu allem laufen, Sommer wie Winter . Jeden Morgen eineinhalb Stunden hin auf Arbeit und des Abends

eineinhalb Stunden zurück . Die Bahn konnte ich mir ja nicht leisten. Aber, das Wort Stress gab es nicht.

Ach, ich schweife ab, verzeih , ich bin einfach eine alte, geschwätzige Frau.

Du fragst nach den Bombennächten von Leipzig .

 

Anmerkung der schreibenden Hand:

Der schwerste Luftangriff wurde in den Morgenstunden des 4. Dezember 1943 von der britischen RAF ausgeführt und forderte über 1800 Menschenleben. Das Stadtzentrum wurde zu großen

Teilen zerstört.Im „Großdeutschen Reich“ des Jahres 1939 stand Leipzig auf der Liste der größten deutschen Städte mit über 700.000 Einwohnern auf dem sechsten Platz, wobei Wien mit

berücksichtigt ist. Als „Reichsmessestadt“ hatte es zusätzlich eine herausgehobene Bedeutung. Leipzig ist damals wie heute auch ein bedeutender Eisenbahnknotenpunkt. Erst nach zwei

britischen Flächenbombardements auf Leipzig im 20.Oktober und 04.Dezember 1943 richteten sich die nunmehr amerikanischen Luftangriffe gezielt auch auf die Standorte der Rüstungsindustrie

im Norden der Stadt. Während der so genannten Big Week war Leipzig eines der ersten Ziele, die von britischen und US-amerikanischen Bombern angegriffen wurden, am 20. Februar 1944,

weitere Luftangriffe folgten am 29.Mai, 29.Juni , 07.Juli , 20.Juli und 6.Dezember 1944, 1945 am 27.Februar, 06.April und 10.April - Kriegsende 02.September 1945

( wikipedia)

 

Als die ersten Bomben auf Leipzig fielen war ich ja 33 und dein Vater Werner 5 Jahre alt. Dein Onkel , mein erstgeborener verloren wir ,dein Opi und ich, als Kleinkind, für Trauer blieb keine

Zeit , wie für nichts in diesen Jahren . Die Ereignisse überschlugen sich ja Tag für Tag. Anfangs fand der Werner die Bombenangriffe noch irgendwie was besonderes, irgendwie

aufregend. Er suchte mit den Nachbarskindern nach Bombensplittern . Das war ihr Spiel. Aber mit jeden neuen Angriff hat mein Junge mehr begriffen , wie furchtbar dies alles ist und die Angst

stand ihm immer mehr in den Augen, wenn der Alarm und die Sirenen wieder losgingen. Geredet wurde nicht viel oder erklärt, wie ihr das heute macht. Nu, wir Frauen mussten ja die Ruhe

bewahren. Die Männer, auch dein Opi, waren ja alle an der Front. Wir warn alleine , mit allem. Ich hatte wie alle immer einen Koffer im Korridor bereit stehen, den konnte man dann schnell

schnappen und mit dem Kind an der anderen Hand zum Keller loslaufen. Im Koffer waren die Ausweise und andere wichtige Dokumente, auch Kleider von Werner und mir. Ich hab auch

Flaschen mit Getränken und Essen reingetan , was nicht verdarb , Zwieback uä. Es war ja nie klar, wie lange man da unten im Luftschutzbunker bleiben musste , falls man überlebte. Jeder Keller

war damals zum Luftschutzbunker ausgebaut .

Von drohenden Bombenangriffen hat man zuerst im Radio gehört, wenn man ein Radio hatte, oder eben, wenn die Alarmsirenen losgingen. In dieser Zeit sind wir immer mit Kleidern zu Bett

gegangen- auch so eine Vorsichtsmaßnahme, um ja keine Zeit zu verlieren. Man hat schnell seinen „Stammplatz“ im Luftschutzkeller gehabt. Es wurde alles irgendwie zu

unserem Alltag, zB erkannte man im Laufe der Zeit am Pfeifton der Bomben, ob die auf uns zukamen oder weiter weg einschlugen. Die Angst war immer da, die wurde zum Alltag, wenn wir

die Sirenen hörten, aber sie war auch wieder weg , wenn wir aus den Kellern zurück aufstiegen in unsere Wohnungen. Ich denke, dass die Angst auch immer wieder weg ging, musste so sein, es

musste ja irgendwie weiter gehen. Gottseidank, die Kinder haben auch immer wieder ganz normal gespielt und gelacht.

 

Ich muss dir auch sagen, dass ich trotz dem Schrecken und der ständigen Angst viel viel Gutes in dieser Zeit erlebt habe. Wir hatten alle im Haus so einen guten Zusammenhalt und

Gemeinschaft .Jeder hat jeden geholfen , jeder hat auch auf die Kinder der Nachbarn geschaut, wir haben auf uns alle gegenseitig aufgepasst. Das war ein ganz wunderbares Gefühl.

Heute hält man ja irgendwie gar nicht mehr zusammen. Jeder kümmert sich nur noch um sich selbst. Das war in diesen Zeiten anders. Diesen Zusammenhalt vermisse ich wirklich. Wir hatten

so eine gute Hausgemeinschaft im Triftweg. Mit denen, die noch leben, schreibe ich ganz regelmäßig. Hinfahren kann ich ja nicht mehr .

Wir haben auch immer wieder gelacht und ganz normal erzählt. Auch haben wir für die Kinder versucht , Geschichten zu erfinden, unten im Luftschutzbunker, um sie vom Lärm, den

Erschütterungen und der übergroßen Angst abzulenken . Man wußte ja nie, ob man dieses Mal lebend aus der Hölle rauskommt . Tote gab es genug. Ich habe mir immer die Gedanken verboten,

ob es nicht einfach besser gewesen wäre, wenn der Werner und ich zu meinen kleinen Engel gehen und sterben hätten können .

Aber dann wäre ja mein Mann und Werners Vati ganz alleine auf dieser Welt gewesen, nach dem Krieg .

 

Dass er nie aus dem Krieg nach Hause kam, konnte ich ja damals nicht wissen . Die Hoffnung stirbt zuletzt, nu? Ich musste also weitermachen. Auch weil meine Mutti und Vati ja noch da waren.

Am Abend musste man ja auch immer alle Fenster verdunkeln , das war Bürgerpflicht . Davon hast du sicher schon mal was gehört. Besonders schwierig war es, bei den vielen Glasscheiben, die

durch die Druckwellen und Splitter zerstört waren.Wir mussten uns mit Pappe oder anderem Material behelfen, es gab ja nichts oder einen Glaser zu rufen, war sinnlos. Es gab ja keinen.

Erst viel später habe ich begriffen und gelesen, dass die ständigen Bombenangriffe nachts der Briten und Amerikaner mit einer „gezielten psychologischen Kriegsführung gegen die Bevölkerung

verbunden war“. Bei Nachtangriffe kamen sie ja immer zu der Zeit, wo man normaler tief und fest geschlafen hat. Ja das haben die geschafft, wir waren in Angst und Schrecken und immer mehr

zerstört und zermürbt.

 

So mein Liebschen, jetzt is abor nu Schluss mit dor Vergangenheit. Jetze dringgn wir abor bittescheen och noch en Bliemchengaffee zusamm, was anners verdrach ich ja nüsch mehr.

Dringgsdn mit deener alden Omi? Du dringgsd ja lieboor eenen italienchn Espresso , ich weess , aber nu gugge ma da , de scheenste Bliemchendasse is für dich. Isse nich wunderboar ? Midde Goldrand !

 

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